Freitag, 9. März 2012

Und ich mag ihn doch ...

Brauchen wir Großprojekte? Natürlich. Brauchen wir moderne Bahnhöfe? Besser heute als morgen. Brauchen wir mehr Verkehr auf der Schiene? Die Umwelt bittet uns darum. Brauchen wir Stuttgart 21? Nein.

Stuttgart 21 (offiziell inzw. "Bahnprojekt Stuttgart-Ulm" inkl. einer Neubaustrecke (NBS) von Wendlingen nach Ulm) hat eine interessante Geschichte hinter sich. Erste Planspiele gab es bereits um 1900, also noch zur Kaiserzeit. Damals entschied man sich noch für den Bau eines Kopfbahnhofes. Dann war erst einmal Ruhe, bis Ende der 80er Jahre erneut Planungen zu einem Tiefbahnhof mit Flughafenanbindung aufkamen. Verschiedene Möglichkeiten wurden diskutiert, 1995 dann die weitestgehend den heutigen Planungen entsprechende Ausgestaltung des neuen Bahnhofes, Projektname Stuttgart 21, vorgestellt.

Es soll jetzt allerdings nicht darum gehen, ob S21 richtig oder falsch ist. Sondern darum, wie der aktuelle Bahnchef Dr. Rüdiger Grube damit umgeht.
Obwohl ich ein erklärter Gegner von Stuttgart 21 bin, überzeugt mich die Vorgehensweise Grubes, aus einer Vielzahl von Gründen. Ich bin mir gar nicht mal so sicher, wie überzeugt er von diesem Projekt ist, auch wenn er dies offiziell zu Protokoll gab. Er hat es in seiner Funktion geerbt und muss es nun nach außen vertreten. Allerdings hatte der damalige Bahnchef Ludewig das Projekt um die Jahrtausendwende gekippt, erst durch dessen Nachfolger Hartmut Mehdorn kam es wieder auf den Tisch. Grube tut das nicht, was für seine Überzeugung von dem Projekt spricht.

Nachdem die Deutsche Bundesbahn durch die Bahnreform 1994 von einer "Behördenbahn" in eine Aktiengesellschaft (DB AG), deren Anteile zu 100% beim Bund liegen, überführt wurde, stand sie um die Jahrtausendwende tief in den roten Zahlen. Ein Reformer musste her. Der Reformer hieß Hartmut Mehdorn und trimmte die Deutsche Bahn in beeindruckendem Tempo ins Plus. Ihm ist es sozusagen zu verdanken, dass die Bahn wieder Gewinne wörtlich einfährt. Doch der Preis, den die Bahn als Unternehmen und die KundInnen dafür zu zahlen hatten, war hoch: Zugreserven wurden verkauft, Instandhaltungsarbeiten minimiert, wenig in neues Material investiert, die Ticketpreise kräftig angehoben. Die Folgen waren teilweise fatal: Viele Zugausfälle, weil kurzfristig einsetzbare Reserven für defekte Einheiten fehlten. Mehr Defekte, weil an der Instandhaltung gespart wurde und weil der Fahrzeugpark immer älter wurde. Neue Züge waren qualitativ minderwertig, um Anschaffungskosten zu sparen. Großes Ziel Mehdorns: Der Börsengang, um noch mehr Geld in die Kassen zu spülen.

Diesem mehrmals verschobenen Projekt kam (in meinen Augen glücklicherweise) die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 dazwischen. Hartmut Mehdorn wurde mit Wirkung zum 01. Mai 2009 von Dr. Rüdiger Grube abgelöst, der recht schnell eine neue Strategie fuhr. Verhandlungen mit Siemens über die Lieferung von 17 neuen ICE3-Triebzügen (Velaro D) sowie bis zu 300 Einheiten von ICx-Triebzügen, die ab 2016 sukzessive die alten IC-Garnituren, ab etwa 2025 die ICE1&2 ersetzen sollen, endeten beide mit neuen Vertragsabschlüssen. Der Rahmenvertrag der DB mit Bombardier Transportation über €2,1 Mrd zur Lieferung von Doppelstock-Triebwagen für den Nahverkehr wurde hingegen bereits Anfang 2009 von seinem Amtsvorgänger unterzeichnet.
Unter Rüdiger Grube starteten außerdem diverse Social-Media-Kanäle zur Kundeninformation, wie zum Beispiel die Facebook-Seite von Deutsche Bahn und Deutsche Bahn Konzern oder die Twitter-Kanäle @DB_Info und @DB_Bahn.

Besonders überzeugt hat mich seine Haltung zu Stuttgart 21, da die Deutsche Bahn der grün-roten Landesregierung trotz aller Querelen freiwillig mit mehreren Baustopps sehr weit entgegenkam, zum Beispiel vor der Volksabstimmung. Wohl in dem Wissen, dass man sonst diverse Schwierigkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung bekommen hätte.
Interessant ist übrigens der Sachverhalt, dass oft von der Deutschen Bahn, respektive von Grube, verlangt wird, doch selbst aus S21 auszusteigen. Hin und wieder gibt es nämlich durchgesickerte Meinungen, dass die Bahn diesen Bahnhof eher nicht braucht. Wichtiger ist das Projekt vielmehr für die Politik, inzwischen auch für die Bundespolitik. Und da die Bahn eine Aktiengesellschaft und zu 100% im Besitz des Bundes ist, muss sie per Gesetz im Sinne der AnteilseignerInnnen handeln. Will der Bund also S21 und die Bahn verhindert es, könnte der Bund die Bahn verklagen. Dieses Risiko will die Bahn mit Sicherheit nicht eingehen.

Das Zitat "Es gibt kein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsneubau" halte ich allerdings für grundfalsch.

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